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Noch ganz am Anfang: Strafgefangenenhilfe in Russland

Regula Spalinger im Gespräch mit Erzpriester Evgenij Ketov und Alexander B.

Das zweistufige Rehabilitationszentrum unter der Leitung von Erzpriester Evgenij Ketov ist ein Pilotprojekt im Bereich der Strafgefangenenhilfe in Russland. Ziel ist es, den Strafentlassenen bei der gesellschaftlichen Wiedereingliederung zu helfen. Im Gespräch mit Regula Spalinger, der Projektverantwortlichen von G2W, schildern Vater Evgenij und der ehemalige Häftling Alexander B. Leben und Arbeit im Rehabilitationszentrum.

G2W: Wie sah Ihr Leben aus, bevor sie in die Strafkolonie kamen?
Alexander B.: Vor dieser Frage habe ich mich am meisten gefürchtet. Aufgewachsen bin ich in St. Petersburg, die Wohnung meiner Familie lag in einer Schlafsiedlung am Stadtrand. In den 1990er Jahren lebten wir wie viele Russen in ärmlichen Verhältnissen. Ich habe dann angefangen, Drogen zu nehmen und wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Mit Drogen gehandelt habe ich nicht, aber ich habe gestohlen, um an Geld für die Drogen zu gelangen. In den 1990er Jahren war vor allem der Gebrauch von Heroin in Mode, damals kamen Drogen in großem Stil nach Russland. Mit 25 Jahren bin ich sozusagen aufgewacht, als ich merkte, dass ich an der Nadel hänge. Ich wurde verhaftet, saß eine erste Haftstrafe ab, dann eine zweite. Danach fuhr ich ins Antonievo-Sijskij-Kloster im Norden Russlands, lebte dort und kehrte nach einer gewissen Zeit nach St. Petersburg zurück. Eine Zeit lang hielt ich durch, dann fing ich wieder an Drogen zu nehmen und wurde erneut zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Es waren relativ kurze Haftzeiten: fünf, drei, das letzte Mal eineinhalb Jahre.

Wie schauen Sie heute auf Ihre Straftaten zurück?
Sie bedrücken mich, sie sind ein schlechter Eindruck. Und ich bin ja in einem Alter, 34 Jahre, wo ich sehr gut verstehe, dass mein Verhalten nicht gut war. Die Gefängnisaufenthalte sind auch nicht spurlos an mir vorübergegangen. Das erste Mal war ich ganz einfach unter Schock, weil ich in ein Gefängnis kam, wo ich auch geschlagen wurde.

War es schwierig im Gefängnis neue Impulse für das Leben danach zu erhalten?
Ja, ziemlich schwierig, aber doch reell möglich. Beispielsweise durch Bekannte, Freunde. Und über die Kirche kann man sie auch finden. Allerdings war dies in dem Gefängnis in der Nähe von St. Petersburg, in dem ich war, schwierig. Geistliche besuchten die Haftanstalt nicht, man konnte keine entsprechenden persönlichen Gespräche führen, sondern lediglich in die Gefängniskirche gehen und eine Kerze anzünden, mehr nicht.

Und hier in Ponazyrevo?
Ich war kein Gefangener in der Strafkolonie von Ponazyrevo. Ein Bekannter riet mir: Komm zu uns nach Ponazyrevo. Er wusste, dass ich bald entlassen werde und dann alles von vorne beginnen würde. Er hatte früher selbst Probleme mit Drogen. Er sagte zu mir: Probiere es, hier ist es gut, vielleicht schlägst Du hier Wurzeln. Deshalb kam ich sofort nach meiner Entlassung aus der Haft hierher, um in St. Petersburg nicht wieder in die falschen Kreise zu geraten. Vater Evgenij war informiert, dass ich kommen würde, mein Freund hatte sich bei ihm für mich eingesetzt. Aber den Batjuschka [umgangssprachlich für Vater als Ausdruck für einen Geistlichen – Anm. G2W] lernte ich erst hier kennen. Seit September letzten Jahres lebe ich nun im Rehabilitationszentrum und finde mich gut zurecht. Ich weiß im Moment noch nicht, wie lange ich bleiben kann, darüber werde ich mit Vater Evgenij sprechen.

Welche Pläne hegen Sie für die Zukunft?
Für mich ist es noch sehr schwierig, darauf zu antworten. Vorläufig muss ich noch richtig Fuß fassen, damit ich das Alte vergessen kann. Ich weiß, wenn ich jetzt nach St. Petersburg zurückkehrte, würde alles zu hundert Prozent von vorne beginnen. Deshalb ist es für mich wichtig, im Moment hier zu sein, gefestigter zu werden, um mir Gedanken über die Zukunft machen zu können.

Welche Schwierigkeiten erleben Sie hier und was sind die schönen Seiten in Ponazyrevo?
Es gibt manchmal kleine schwierige Situationen bei der Arbeit, aber die sind wirklich gering. Das Gute hier ist die saubere Luft, die Natur, die Bäume. Hier sind die Menschen auch ganz anders als in St. Petersburg, der Umgang mit den Leuten ist einfacher und unproblematischer, alles verläuft hier selbstverständlicher.

Sie können die Arbeit der Strafgefangenenhilfe Ponazyrevo mit einer Spende auf das Konto von Forum RGOW (IBAN CH22 0900 0000 8001 51780) mit dem Vermerk „Strafgefangenenhilfe“ unterstützen.

pdfRGOW 8/2015, S. 28-29

Bild: Regula Spalinger