Skip to main content

„Kinder der Hoffnung“: Zeichen der Hoffnung setzen

Regula Spalinger im Gespräch mit Igor Smazhennyj und Anna Matjuschkina

Die NGO „Kinder der Hoffnung“ unterstützt ukrainische Flüchtlingsfamilien im In- und Ausland. In Kyjiw und zwei naheliegenden Dörfern organisiert die NGO gemeinsame Anlässe für die Familien und Freizeitprogramme für die Kinder. Zudem bietet sie psychologische Begleitung für die kriegstraumatisierten Familien an. Im Dorf Chotjanivka bei Kyjiw plant die NGO für 2025 den Bau eines Begegnungszentrums, wo ein Ort zum Austausch und zur längerfristigen psychologischen Begleitung entstehen soll.

Auf welche Regionen konzentriert sich Ihre NGO zurzeit in der Flüchtlingshilfe? 
Igor Smazhennyj:
 Unsere Schwerpunkte liegen in der Ukraine und in Südpolen. Im ersten Jahr des russischen Angriffskriegs waren wir auch in Bulgarien tätig. Ein Teil unserer Mitarbeitenden flüchtete im Frühjahr 2022 nach Varna und baute vor Ort Nothilfeprogramme für ukrainische Flüchtlingsfamilien auf. Diese Mitarbeitenden sind inzwischen in die Ukraine zurückgekehrt und unterstützen in der Region Kyjiw Binnenflüchtlinge und vom Krieg betroffene Menschen. Die Geflüchteten stammen aus Regionen und Städten, die nahe zur Frontlinie liegen, wie Charkiw, Zaporizhzhja oder Dnipropetrowsk. Zu den im Gebiet Kyjiw lebenden, besonders hilfsbedürftige Familien zählen alleinerziehende Mütter mit ihren Kindern. Die Ehemänner der Frauen sind für die ukrainischen Verteidigungstruppen im Einsatz. Es gibt leider auch einige von uns betreute Kinder, die ihren Vater durch den Krieg verloren haben.

Anna Matjuschkina: Mehrere Familien aus der Klasse meiner Tochter sind in die Schweiz geflüchtet. Das Zurücklassen von allem, was einem teuer ist, ist psychisch sehr schwer zu ertragen. Umso mehr als in den meisten Fällen Familien auseinandergerissen werden, da die Ehemänner im Militär dienen müssen und weitere Nächste, oft betagte Menschen im Land zurückbleiben. Ich habe mich mit meiner Familie trotz der Gefahren und des häufigen Luftalarms entschlossen hier zu bleiben [In diesem Moment öffnet Anna Matjuschkina das Fenster ihres Büros. Von draußen ist durchdringender Sirenenalarm zu hören, worauf sie rasch die Warn-App auf ihrem Handy überprüft – R. S.]. Über Telegram-Kanäle erhalten wir von den ukrainischen Luftstreitkräften Warnungen. Zum Glück handelt es sich diesmal um eine feindliche MiG ohne Geschosse. Wird der Aufstieg russischer ballistischer Raketen angezeigt, haben die Bewohner von Kyjiw vier bis fünf Minuten Zeit, um sofort einen Schutzraum aufzusuchen. In Charkiw bleiben sogar nur zwei Minuten.

Wie unterstützt „Kinder der Hoffnung“ die Familien in der Kriegssituation? 
Anna Matjuschkina:
 Unmittelbar nach Beginn des Großangriffes leisteten wir in erster Linie materielle Hilfe. In jenem Zustand des Schocks und der Flucht vieler Familien war es unmöglich, Treffen zu organisieren. Den besonders Notleidenden halfen wir mit Lebensmitteln, Medikamenten, Hygiene- und dringenden Haushaltartikeln. Einzelne geflüchtete Familien, die an ihrem ursprünglichen Wohnort alles verloren hatten, unterstützten wir durch die Übernahme der Wohnungsmiete für die erste Zeit in Kyjiw. Mit Andauern des Kriegs begannen wir die Kinder zu regelmäßigen kreativen Kursen nach Gottesdiensten einzuladen. Denn die mit uns zusammenarbeitenden Kirchgemeinden verfügen über die notwendigen Schutzräume. Solche Veranstaltungen für Kinder führen wir in der Hauptstadt bei der Kirche des hl. Nikolai sowie im umliegenden Gebiet in den Dörfern Voropaiv und Chotjanivka durch. An den beiden letztgenannten Orten ist Erzpriester Bohdan Ohultschanskij, der mit unserer Wohltätigkeitsstiftung seit ihrer Gründung im Jahr 2015 zusammenarbeitet, eine tragende Kraft. Nach Voropaiv, wo die Kurse im „Haus der Kultur“ stattfinden, kommen 50 bis 70 Kinder, zu hohen Festen gar noch mehr. In den vergangenen Monaten haben wir während dieser „Master Classes“ mit den Kindern gemalt, mit verschiedensten Materialien gebastelt, Kerzen hergestellt und Lebkuchen verziert. Es sind Anlässe, die Elemente einer Kunsttherapie enthalten und kostenfrei, daher für alle gleichermaßen zugänglich sind. Verbunden mit diesen Veranstaltungen bietet sich auch die Gelegenheit zu begleitenden Gesprächen. Einzelne Eltern wenden sich mit der Bitte um psychologische Hilfe an uns, worauf wir sie mit einer geschulten Fachperson in Verbindung setzen und bei Bedarf finanzielle Unterstützung leisten. Manche Kinder und Erwachsene leiden aufgrund des ständig wiederkehrenden Beschusses unter panischen Angstattacken.

Was sind momentan die größten Herausforderungen für Ihre NGO? 
Anna Matjuschkina: Eindeutig die sichere Durchführung von Veranstaltungen mit den Kindern. Vor dem Großangriff trafen wir uns in Räumlichkeiten hier in Kyjiw dreimal die Woche. Zusätzlich besuchten wir an Wochenenden gemeinsam mit den Kindern Ausstellungen, Museen, machten Ausflüge, organisierten handwerkliche Workshops, waren oft zu Sport und Spiel draußen. Sommerlager führten wir teilweise sogar in befreundeten europäischen Kirchgemeinden in Italien, Deutschland oder Frankreich durch, gemeinsam mit Kindern aus diesen Ländern. Während des Kriegszustands sind nun die Eltern für die Sicherheit der Kinder verantwortlich und müssen sie zu Anlässen begleiten. Da die meisten Eltern während der Woche arbeiten, können unsere Treffen nur am Wochenende stattfinden. Wir hoffen natürlich, dass der Krieg möglichst bald endet. Dann können wir den Kindern regelmäßigere psychologische Hilfe anbieten und auch unsere Veranstaltungen wieder in vollem Umfang aufnehmen.

„Kinder der Hoffnung“ will im nächsten Jahr in Chotjanivka mit dem Bau eines Begegnungszentrums beginnen. Was sind die Ziele dieses Projekts?
Igor Smazhennyj:
 Von 2017 bis 2020 konnten wir dank Vermittlung unseres Stiftungsratspräsidenten Konstantin Sigov Räume des Kyjiwer Dominikanerklosters für Veranstaltungen mit den Kindern nutzen. Doch der damalige leitende Dominikanerpriester, der unsere Arbeit in jeder Hinsicht unterstützte, wurde nach Polen versetzt und so verloren wir diese Möglichkeit wieder. Im Dorf Lischnja, wo wir in einer Kirchgemeinde bis zur Corona-Zeit Sommerlager für rund 50 Kinder durchführten, erlebten wir eine ähnliche Situation. Diese Erfahrungen zeigen uns, dass wir zur Weiterentwicklung unserer NGO einen stabilen eigenen Ort benötigen. Den Kindern vermittelt ein solcher vertrauter Ort Sicherheit. Die Lehrkräfte und Betreuerinnen können im eigenen Zentrum ihre Materialien aufbewahren, was die Arbeit wesentlich erleichtert. In Chotjanivka besitzen wir ein geeignetes Grundstück, das wir bereits vor einigen Jahren erwerben konnten. Die daran angrenzende kleine Kirche, in der unser engster geistlicher Unterstützer Vater Bohdan zelebriert, haben wir selbst errichtet.

Was für Aktivitäten sollen im Begegnungszentrum stattfinden? 
Igor Smazhennyj:
 Zum Zentrum, das den Namen „Haus der Freunde“ tragen soll, besteht bereits ein ausgearbeiteter Bauplan. Im Zentrum können zukünftig regelmäßig rund 20 bis 25 Flüchtlingskinder sowie weitere kriegsbetroffene Kinder und ihre Angehörigen zusammenkommen. Mehrere Mitarbeitende unserer NGO haben in der Nähe des Grundstücks ihr Wohnhaus, manche eine Datscha. Daher steht für die Versorgung größerer Kindergruppen, z. B. bei Sommerlagern, nicht nur die hauseigene Küche zur Verfügung. An der Verpflegung der Kinder werden sich verschiedene Familien der örtlichen Kirchgemeinde beteiligen. In unsere Aktivitäten werden wir Sport und Spiel, handwerkliche Workshops und Erkundungen in die Umgebung einbauen. Der nahe Fluss Desna lädt im Sommer zum Baden ein, zudem können wir Ausflüge mit unseren eigenen Kajaks unternehmen. Wir hoffen auf Frieden, damit sich die traumatisierten Kinder endlich wieder über längere Zeit in der Natur erholen können. Zudem können wir mit den Kindern und Jugendlichen einen eigenen Garten anlegen. Den Kindern und Jugendlichen wollen wir den sorgsamen Umgang mit Wasser, Strom und weiteren Ressourcen näherbringen.

Anna Matjuschkina: Die Familien, die wir betreuen, können sich keine kostenpflichtigen Freizeitkurse oder Sommerlager für ihre Kinder leisten. Viele Eltern, insbesondere die Mütter, deren Ehemann an der Front dient oder im Krieg gefallen ist, müssen in den Sommermonaten ebenfalls arbeiten, um ihre Familie durchzubringen. Die Kinder, die während des Schuljahres unter den stressreichen Bedingungen des Krieges gelernt haben, benötigen im Sommer unbedingt Erholung. Die psychische Rehabilitation in der Ferienzeit ist enorm wichtig. Zu Beginn und am Schluss unserer Ferienlager sind die Eltern miteinbezogen. Durch den intensiveren Austausch mit den Familien können wir gezielter auf deren Bedürfnisse eingehen. Je nach Bedarf der Familie ziehen wir dazu Fachpersonen bei. Zu den Elementen, die wir in den Ferienlagern neben sportlichen und handwerklich-künstlerischen Aktivitäten stark einsetzen, gehören gemeinsames Singen und Musizieren, die therapeutische Kraft haben.

Sie können die Arbeit von „Kinder der Hoffnung“ mit einer Spende auf das Konto des Forums RGOW (IBAN CH22 0900 0000 8001 5178 0) mit dem Vermerk „Kinder der Hoffnung“ unterstützen.

Bild: „Kinder der Hoffnung“ bietet zahlreiche bietet Freizeitaktivitäten für Flüchtlingskinder an (Foto: Kinder der Hoffnung).