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In memoriam: Elena Rydalevskaja

Franziska Rich

Am 23. Dezember 2021 ist Elena Rydalevskaja, die Leiterin des Fonds „Diakonia“ in St. Petersburg, nach einer kurzen, schweren Krebserkrankung im Alter von 59 Jahren verstorben. Die Leiterin einer der renommiertesten Drogenhilfsorganisationen in Russland war eine enge Projektpartnerin des Instituts G2W in der Entwicklungszusammenarbeit.

Elena Rydalevskaja engagierte sich seit über 25 Jahren in der Drogenrehabilitation. Die studierte Medizinerin, die in St. Petersburg ihren Abschluss als Fachärztin in Suchtmedizin gemachte hatte, kam Mitte der 1990er Jahre mit dem Verein „Rückkehr“ in Kontakt, der im Dorf Melnitschny Rutschei außerhalb der Stadt ein erstes Rehabilitationszentrum für Drogenpatienten errichtet hatte. Bald übernahm Elena die Leitung des neuen Zentrums. „Rückkehr“ gehörte zum Kreis der orthodoxen Bruderschaft der hl. Anastasija der Kettenlöserin, die auf Initiative von Erzpriester Alexander Stepanov Anfang der 1990er Jahre zur Förderung der diakonischen Arbeit in der Russischen Orthodoxen Kirche gegründet worden war. Zeitlebens blieb sie mit dieser Bruderschaft und ihren verschiedenen diakonischen Initiativen verbunden.

Der Fonds „Diakonia“ entstand 2008, nachdem sich die vom Ökumenischen Rat der Kirchen Anfang der 1990er Jahre initiierten und finanziell unterstützten Strukturen des sog. Runden Tisches in St. Petersburg aufgelöst hatten. Die verbliebenen lokalen orthodoxen, katholischen und lutherischen Teilnehmenden entschieden sich, den Fonds „Diakonia“ als neue karitative Struktur zu organisieren und sich den akuten Sucht- und Obdachlosenproblemen in der Stadt zuzuwenden. Elena Rydalevskaya wurde die Leitung dieser Arbeit anvertraut. Die Bruderschaft der hl. Anastasija stellte als Basis für die Rehabilitation von Drogenpatienten ihr Zentrum im Dorf Poschitni im Gebiet von Pskov zur Verfügung, das zuvor ähnlichen Zwecken gedient hatte. Elena baute in den folgenden Jahren das Zentrum in eindrücklicher Weise aus, ebenso wie die Hilfe für Obdachlose in St. Petersburg (vgl. RGOW 11/2021).

Prägende familiäre Erfahrungen
Jeder, der Elena kennenlernte, war zutiefst berührt von ihrer ruhig-heiteren Ausstrahlung, ihrer Hilfsbereitschaft, ihrem echten Mit-Leiden mit jedem Notleidenden, ihren unermüdlichen Bemühungen um das Wohl eines jeden Menschen. Vorurteile und Berührungsängste waren ihr fremd. Geprägt hat sie das Vorbild und Schicksal ihres früh verstorbenen Vaters, der als Medizinstudent verhaftet und sieben Jahre als „Volksfeind“ in den berüchtigten Stalinschen Straflagern im Kolymagebiet inhaftiert gewesen war. Als Sanitäter überlebte er zwar selbst knapp, hatte aber tagtäglich mit hunderten schwerstkranken Häftlingen zu tun, denen er kaum helfen konnte. 

Dieses Trauma hinterließ auch bei Elena Spuren und führte sie zu der Überzeugung, dass es wichtig ist, das Gute wie das Böse beim Namen zu nennen. Dieser Leitgedanke war für sie nicht nur im geschichtlichen oder im aktuellen gesellschaftlichen Kontext von Bedeutung, sondern auch hinsichtlich der persönlichen Entwicklung eines jeden Menschen. Für sie war es wichtig, dass jeder ehrlich und offen gegenüber sich selbst und seinen Mitmenschen wird und zu dem steht, was er im guten und weniger guten Sinne für sich und seine Umwelt tut. In der Drogenrehabilitation legte sie bei den Patienten großen Wert auf Ehrlichkeit und war eine entschiedene Verfechterin einer lebenslangen Abstinenz nach dem Entzug. Gleichzeitig gab sie jedem Menschen, der abstürzte, eine neue Chance, sobald bei ihm die nötige Motivation für die Rehabilitation wieder vorhanden war. Mit diesem Konzept war sie sehr erfolgreich. Hunderte ehemaliger Patienten haben ihr ein neues Leben zu verdanken und blieben mit ihr bis zuletzt verbunden. 

Einsatz für Aus- und Weiterbildung
Neben der Rehabilitation setzte sie sich auch intensiv für eine Aus- und Weiterbildung des Personals staatlicher medizinischer und sozialer Einrichtungen ein – zunächst nur lokal, später auch für Interessierte aus anderen Regionen Russlands. Insbesondere zu Beginn erlebte Elena immer wieder, dass staatliche Einrichtung kaum verständnis-, geschweige denn würdevoll mit schwierigen Patienten umgingen, wie es Drogensüchtige und HIV-Infizierte häufig sind. 

Elena Rydalevskaya setzte neben der Mitarbeit von Fachleuten wie Psychologen und Sozialarbeitern auch auf die Ausbildung eigener Mitarbeitenden. Sie schuf beispielsweise ein Netz von sog. Konsulenten – ehemalige, längere Zeit abstinent lebende Rehabilitanden, die sie als Begleiter und ständige Ansprechpartner der aktuellen Patienten einsetzte. Dieses Konzept wirkt bis heute sehr erfolgreich, da sich das Vorbild der Konsulenten für die Patienten als glaubwürdiger und einfühlsamer erweist als das von Außenstehenden. Gleichzeitig verbreitert sich auf diese Weise der Kreis der Mitarbeitenden und Förderer des Fonds „Diakonia“ ständig, dessen Arbeit somit auf guten Grundlagen steht.

Deine vielen Freundinnen und Freunde im In- und Ausland werden Dich schmerzlich vermissen. 

Ewiges Gedenken, Elena!

 Sie können die Arbeit des Fonds "Diakonia" mit einer Spende auf das Konto von Forum RGOW (IBAN CH22 0900 0000 8001 51780) mit dem Vermerk „Diakonia“ unterstützen.

pdfRGOW 1/2022, S. 26. 

Bild: Franziska Rich, Elena Rydalevskaja und Regula Spalinger (Foto: Regula Spalinger).