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Russland: Kampf um Kirchen in Suzdal

22. Juni 2009

In einem aufsehenerregenden Gerichtsverfahren hat die «Gebietsverwaltung für Staatsbesitz in Vladimir» Mitte Mai durchgesetzt, 10 Kirchen und zwei nichtsakrale Gebäude der sog. «Russischen Autonomen Orthodoxen Kirche» in Suzdal zu konfiszieren. Inder 200 km nordöstlich von Moskau gelegenen Stadt, die zum sog. Goldenen Ring gehört, befindet sich das Zentrum der unkanonischen «Russischen Autonomen Orthodoxen Kirche», die für sich in Anspruch nimmt, der Katakombenkirche zu entstammen und damit die «wahre, echte» Orthodoxe Kirche zu sein. Ihre Ursprünge sind indessen prosaischer: Im Jahre 1991 hatten sich der damalige Propst und Vorsteher der Kaiser- Konstantin-Gemeinde in Suzdal, Archimandrit Valentin (Rusanzov), und sein Bischof, Valentin (Mischtschuk) von Suzdal, überworfen. Der Bischof hatte den Archimandriten der Veruntreuung und Korruption beschuldigt, während der Archimandrit dem Bischof exzessive Kontrollwut vorwarf und sich mit seiner Gemeinde umgehend der Russischen Auslandskirche unterstellte. Diese weihte ihn noch im gleichen Jahr in Brüssel zum Bischof von Suzdal der «Freien Orthodoxen Kirche» - so bezeichneten sich die Gemeinden in Russland, die der Auslandskirche und nicht dem Patriarchat Moskau unterstanden. 1994 kam es zum Bruch zwischen der Auslandskirche und der «Freien Orthodoxen Kirche», da ein Teil von deren Bischöfen und Priestern - darunter «Bischof» Valentin (Rusanzov) - ohne vorherige Konsultation der Auslandskirche eine eigene Kirche gründeten und diese «Provisorische Oberste Kirchenleitung der Russischen Orthodoxen Kirche» nannten. Die Auslandskirche verweigerte diesem Gremium jegliche Anerkennung und suspendierte die involvierten Geistlichen. «Bischof» Valentin gelang es jedoch, etwa 50 Gemeinden auf seine Seite zu ziehen; er ernannte sich 1998 zum Metropoliten, bezeichnete seine Kirche fortan als «Russische Autonome Orthodoxe Kirche» und erhob die Kaiser-Konstantin-Kirche zur Kathedrale. Bereits zuvor hatte er seine Kirche registrieren lassen, die damit staatlich anerkannt war und Anspruch auf Gotteshäuser geltend machen konnte. Die Behörden übergaben ihr in Suzdal die eingangs erwähnten, damals meist baufälligen und verwahrlosten Kirchen und Gebäude. Mit dem «Gebietskomitee für die Verwaltung von Staatseigentum» (KUGI) und dem «Staatlichen Zentrum für Inventur, Nutzung und Restaurierung historischer Denkmäler» wurden Nutzungs- und Schutzverträge abgeschlossen. Die Gemeinden machten sich aus eigener Kraft und mit eigenen Mitteln an die Renovierung und den Wiederaufbau der teilweise historischen Gotteshäuser. «Metropolit» Valentin wurde Ehrenbürger von Suzdal, zeitweise war er sogar Abgeordneter des Stadtrats und erhielt zahlreiche Auszeichnungen.

2006/2007 überprüfte die «Gebietsverwaltung für Staatsbesitz in Vladimir» die Gotteshäuser der Autonomen Kirche auf sachgemäße Restaurierung und Zweckbestimmung - und verklagte sie plötzlich wegen illegalen Besitzes: Die Übergabe-, Nutzungs- und Schutzverträge der Autonomen Kirche für die Gotteshäuser seien ungültig, da sie «mit einer heute nicht-existenten Organisation » [dem KUGI] abgeschlossen worden seien und die Behörden nicht befugt gewesen seien, die entsprechenden Verträge abzuschließen. Ein langwieriger Prozess folgte. Schließlich entschied im Februar das Arbitrage-Gericht von Vladimir, die Schutzverträge seien ungültig, deshalb seien die Kirchen zu konfiszieren. Die Autonome Kirche ging in Berufung, doch die Erste Berufungsinstanz des Arbitrage-Gerichts erklärte das Urteil Anfang Mai ebenfalls für rechtskräftig. In Russland hat dieses Urteil hohe Wellen geschlagen, und die Empörung ist groß, nicht nur bei den Gläubigen der Autonomen Kirche: Diese - zwar unkanonische - Kirche sei staatlich anerkannt, verfüge über alle nötigen Nutzungs- und Übergabedokumente und habe die Kirchen auf eigene Kosten renoviert. Diese nehme ihr nun der Staat, nachdem er sie ihr baufällig übergeben hätte, renoviert wieder ab. Die Erbitterung wuchs, als bekannt wurde, dass der Chef der «Gebietsverwaltung für Staatseigentum», Vladimir Gorlanov, erklärt hatte, die konfiszierten Kirchen würden möglicherweise an Privatpersonen verkauft. Man befürchtet, hier könnte ein Präzedenzfall geschaffen werden: In Übereinstimmung mit der damaligen Rechtssprechung erhielten in den 1990er Jahren alle Religionsgemeinschaften auf der Basis von Schutzverträgen Gotteshäuser zugesprochen, darunter auch solche unter Denkmalschutz. Nun könnten diese Schutzverträge von den Gerichten nicht länger als Berechtigung zur Nutzung der Gotteshäuser als «Kultgebäude» anerkannt und die Kirchen daher jeden Moment vom Staat «zurückgenommen» werden. Wichtig sei auch, dass das Arbitrage- Gericht in Vladimir diesen Prozess als «ökonomischen Streit zweier wirtschaftender Subjekte» betrachte und nicht etwa als Frage über die Rechte von Gläubigen auf die ihnen zur Nutzung übergebenen und von ihnen restaurierten Kirchen. Die «Autonome Orthodoxe Kirche» ließ verlauten, man werde alle Rechtsmittel ausschöpfen - bis hin zur Klage beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof. Es ist ihr gelungen, russische Bürgerrechtler, den Sekretär der politischen Abteilung der US-Botschaft sowie einen Teil der russischen Presse zu mobilisieren. Inzwischen behauptet «Metropolit» Valentin, hinter dem ganzen Verfahren stehe die Russische Orthodoxe Kirche - die Eparchie Vladimir wies solche Anschuldigungen jedoch mit aller Entschiedenheit zurück.

www.portal-credo.ru, 4.-18. Mai 2009 - O.S.

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