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Russland: Erzbischof Paolo Pezzi kritisiert Kirchenübergabe an die Orthodoxie

23. November 2010
Der römisch-katholische Erzbischof Paolo Pezzi hat in einer öffentlichen Erklärung vom 4. November gegen die geplante Übergabe von 15 nicht-orthodoxen Kirchgebäuden an die Russische Orthodoxe Kirche im Gebiet Kaliningrad protestiert (s. vorangegangene Meldung): «In- und ausländischen Presseberichten zufolge hat das Parlament des Gebiets Kaliningrad in zweiter Lesung einen Gesetzesentwurf verabschiedet, mit dem 15 ‹Gebäude religiöser Zweckbestimmung› der Russischen Orthodoxen Kirche zum Eigentum überschrieben werden. Dieser Gesetzesentwurf wurde entsprechend den Gepflogenheiten des Lobbyismus geheim vorbereitet. Und […] ohne jede Konsultation mit den Betroffenen – den christlichen Organisationen, die nicht zur Russischen Orthodoxen Kirche gehören.

Ein Blick in die Geschichte Ostpreußens […] genügt, um zu zeigen, dass es hier vor dem Zweiten Weltkrieg keine einzige orthodoxe Kirche gab. Dies macht die Entscheidung des Gebietsparlaments besonders fragwürdig […]. Man kann eine derartige Verantwortungslosigkeit bei der Entscheidungsfindung nur bedauern. […] Zu diesen 15 Gebäuden zählt auch die frühere katholische Kirche ‹Zur Hl. Familie›, in der heute die Philharmonie untergebracht ist und um deren Rückgabe sich die gleichnamige katholische Gemeinde seit fast zwanzig Jahren vergeblich bemüht. Ich erhebe meine Stimme zur Verteidigung der gesetzlichen Interessen und der Würde meiner Kaliningrader Gemeinde.

Bekanntlich hat die frühere Bevölkerung das ehemalige Ostpreußen nach dessen Aufnahme in die UdSSR fast vollständig verlassen, so dass sich hier Umsiedler aus verschiedenen Teilen des riesigen siegreichen Landes niederließen. Zu den Umsiedlern der Nachkriegszeit gehörten nicht wenige Menschen, die aus ursprünglich katholischen Gegenden der Sowjetunion stammen. Wie ihre Mitbürger folgten sie dem Aufruf zum Aufbau des vom Krieg zerstörten Gebiets und wurden so zu Vertretern des siegreichen Volkes, welches das Gebiet des früheren Ostpreußens auf der Grundlage internationaler Abkommen in Besitz nahm. Wie alle Umsiedler der Nachkriegszeit, so haben auch sie mit ihrer Arbeit die zerstörte Wirtschaft des Landes wieder aufgebaut und in Jahrzehnten seinen Reichtum gemehrt. Zu ihnen zählen viele Kriegsveteranen und Veteranen der Arbeit. […] Wie konnte es dazu kommen, dass die ehemaligen katholischen Umsiedler sowie deren Nachkommen, die ihr ganzes Leben zum Wohl ihrer neuen ‹kleinen Heimat› hingaben, in den Augen der Verantwortlichen des Kaliningrader Gebiets plötzlich zu Bürgern zweiter Klasse wurden, über deren gesetzlich verbürgtes, in der Verfassung der Russländischen Föderation verankertes Recht man sich derart leicht hinwegsetzen darf?

Ich bin davon überzeugt, dass die in Vorbereitung befindliche Entscheidung – zumindest aufgrund ihrer himmelschreienden Ungerechtigkeit – grundlegend falsch ist und im Hinblick auf die Interessen aller im Gebiet vertretenen christlichen religiösen Gemeinden überprüft werden muss. Voller Trauer stelle ich fest, dass die ausgesprochen ausweichende Haltung der Eparchie Kaliningrad in der vorliegenden Frage den zwischenkirchlichen Beziehungen, die sich in den letzten Jahren – wenn auch mit großer Mühe – verbessert haben, beträchtlichen Schaden zufügt. […] Zahlreiche Kommentare und Reaktionen beweisen, dass die in den 1990er Jahren von gewissen säkularen und kirchlichen Medien mit vollen Händen ausgestreute Saat der Verleumdung, des Misstrauens, der Fremdenfeindlichkeit und der pseudopatriotischen Mythologie reiche giftige Frucht hervorgebracht hat. Viele Kommentare enthalten eindeutig Hinweise auf das ‹Schüren nationaler und religiöser Hetze› und fügen der nationalen Einheit des großen und multinationalen Russlands erheblichen Schaden zu. Ein Land ist nicht stark durch die Ambitionen seiner ‹Ideologen› (weltlicher wie religiöser) und deren Anspruch auf Exklusivität, sondern durch eine Atmosphäre des Friedens, Vertrauens, der Eintracht und der gegenseitigen Verantwortung ihrer Bürger. […]

Ich hege trotz allem die Hoffnung, dass diejenigen, denen Gott und das russische Volk die Wahrung der Grundlagen von Gesetz und Gerechtigkeit anvertraut haben – die Männer des Staates und der Kirche –, die Kraft haben und einen Weg finden, um die in ihren möglichen Folgen unheilvolle Situation im Gebiet Kaliningrad zu lösen. […]

Je nach Umständen sehen wir uns dazu gezwungen, unsere gesetzlichen Interessen und die bürgerliche Würde der Katholiken des Gebiets Kaliningrad mit allen Mitteln zu verteidigen, die uns das internationale Recht, die Verfassung und das Gesetz der Russländischen Föderation zur Verfügung stellen.»

www.portal-credo.ru, 4. November 2010 – O.S.

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