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Rumänien: Reformierter Theologe István Tőkés (1916–2016) verstorben

10. Mai 2016

Der Name Tőkés ist vielen ein Begriff, seit mit der Gefangennahme von Pfarrer László Tőkés und der Solidarisierung mit ihm durch die Bevölkerung von Temésvár/Timisoara im Dezember 1989 der Aufstand gegen Ceausescu begann.

Widerstand gegen das Regime hatte auch sein Vater geleistet. István Tőkés, ein vielsprachiger reformierter Theologe und begnadeter Prediger, hatte sich nie wie viele Opportunisten angepasst, sondern blieb stets, wie er formulierte, dem „evangelischen Gehorsam“ verpflichtet.
Geboren wurde Tőkés István (so die ungarische Namensfolge) am 8. August 1916 in Málnás im südöstlichen Siebenbürgen als Sohn eines Dekans und einer Lehrerin. Nach dem Theologischen Institut in Klausenburg studierte er vom Herbst 1938 bis Sommer 1940 in Kassel, Tübingen und Basel, u. a. bei Karl Barth und Oskar Cullmann. Zurück in Klausenburg wirkte er als Studenten-Seelsorger. Von 1946 bis 1973 war er Oberkirchenrat. Von 1948 an lehrte er Theologie am Theologischen Institut in Klausenburg. 1973 übertrug man ihm die vollamtliche Professur für neutestamentliche Exegese. Daneben redigierte er die Reformierte Rundschau (Református Szemle).
1983 wurde er zwangspensioniert, nicht aufgrund seines Alters von 67 Jahren, sondern weil er sich gegen Ceausescus Politik der harten Unterdrückung und Rumänisierung aller Minderheiten wehrte. Die Rente war unzureichend. Mit Predigen, Selbstversorgung aus dem Garten und unterstützt durch seine acht erwachsenen Kindern brachte er sich und seine Frau (Erzsébet, geborene Vass, 1918–2001) durch. Im Frühling 1989 verbot ihm die unter dem Druck der Securitate stehende, unterwürfige Kirchenleitung das Predigen. Nach dem Sturz von Ceausescu durfte er wieder Gottes Wort verkündigen; aber er empfand schmerzlich die bleibende Bedrängnis der Minderheiten. Die reformierte Universität „Károlyi Gáspár“ in Budapest (benannt nach dem ungarischen Bibelübersetzer, um 1530–1591) verlieh ihm 1996 den Ehrendoktortitel.
In den reformierten Kirchen Ungarns und Siebenbürgens ist das Zweite Helvetische Bekenntnis von 1566 bis heute verbindliche Richtlinie. István Tőkés übersetzte es neu ins Ungarische samt erläuternden Zitaten aus Heinrich Bullingers Werken. Das Regime verzögerte zuerst den Druck des lateinisch-ungarischen Buches und drängte dann auf Eile, um der 1968 in Klausenburg stattfindenden Konferenz der World Alliance of Reformed Churches „religiöse Freiheit“ in Rumänien vorzugaukeln. Eine verbesserte Ausgabe konnte Tőkés 2006 herausbringen.
Als Kenner von Bullingers Theologie wurde Tőkés zu den Bullinger-Tagungen 1975 und 2004 in Zürich eingeladen. Über Bullinger und Zwingli verfasste er Beiträge in deutscher Sprache. Seine wichtigsten Bücher in Ungarisch sind: Kommentare zu den Briefen an Philemon (1957), an die Philipper (1983) und die Korinther (1995, 1996), eine Geschichte der biblischen Hermeneutik (1985), das Leben der Ungarisch-Reformierten Kirche in Rumänien von 1945 bis 1989 (1990), die Wirkung Bullingers in der Ungarisch- Reformierten Kirche (2004), Predigtbücher (1975, 1991, 1997 und 2011). Bis ins hohe Alter durfte er seine geistige Frische und große Schaffenskraft bewahren. Alle meine „Exegese und andere Studien“, schrieb er mir 2006, „standen im Dienste der Predigt.“ Am 15. Januar 2016 verstarb István Tőkés.

Kurt Jakob Rüetschi, Luzern

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