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Polen: Umstrittenes Warschauer Kreuz zum Gedenken an die «Tragödie von Smolensk»

16. September 2010

In Polen ist ein Kreuz, das Pfadfinder zum Gedenken an dem bei dem Flugzeugabsturz in Smolensk ums Leben gekommen polnischen Präsident Lech Kaczyński vor dem Präsidentenpalast in Warschau errichtet hatten (s. G2W 6/2010, S. 7), zum Angelpunkt einer Debatte über das Verhältnis von Staat und Kirche geworden.

Mitte Juli verordnete der neu gewählte Präsident Bronisław Komorowski mit dem Einverständnis der Erzdiözese Warschau und der Pfadfinder die Verlegung des Holzkreuzes in die St. Anna-Kirche in der Nähe des Präsidentenpalastes. Dagegen formierte sich eine Gruppe katholischer «Kreuz-Verteidiger», die das Kreuz rund um die Uhr bewachte. Die Gruppe forderte eine Gedenktafel für die Opfer der «Tragödie von Smolensk». Ein erster Versuch, das Kreuz zu verlegen, scheiterte Anfang August. Unterstützung erhielten die «Kreuz-Verteidiger» vom unterlegenen Präsidentschaftskandidaten und Zwillingsbruder des verstorbenen Präsidenten, Jaroslaw Kaczyński, und seiner rechtskonservativen Oppositionspartei «Recht und Gerechtigkeit» (PiS), sowie vom konservativen katholischen Sender «Radio Maryja».

Die «Kreuz-Verteidiger» stießen aber auch auf breiten gesellschaftlichen Widerstand: In der Nacht zum 11. August fand eine mit Hilfe der Internetplattform «Facebook» organisierte Anti- Kreuz-Demonstration mit rund 7000 Jugendlichen statt; und auch der postkommunistische «Bund der demokratischen Linken» (SLD) rief zu einer Kundgebung zur «Verteidigung des säkularen Staates» gegen die klerikale Vereinnahmung auf. Prominente Intellektuelle, wie die Schriftsteller Andrzej Stasiuk und Olga Tokarczuk, äußerten sich ebenfalls zur Debatte. Diese führte sogar zum Entstehen einer spontanen Popkultur: Ein Plakat des Künstlers Andrzej Pa˛gowski fordert: «Gebt Christus das Kreuz zurück », der Song «Wo ist das Kreuz?» von DJ HEK avancierte zum Sommerhit und das Online-Spiel «Der Kampf ums Kreuz» verbucht Tausende Besucher.

Auch die katholische Kirche und die katholische Presse reagierte auf den Streit um das Kreuz. Am 10. August verurteilte der Primas von Polen, Józef Kowalczyk, den politischen Missbrauch des Kreuzes. Ein Urteil, dem sich wenig später auch die polnische Bischofskonferenz anschloss. Diese rief rechte wie linke Gruppierungen angesichts wichtigerer Probleme wie der Finanzkrise zur nationalen Versöhnung auf. In der Presse stieß die Stellungnahme der Bischöfe auf ein geteiltes Echo: auf der einen Seite wurde der Kirche eine zu lauwarme Reaktion auf die «Kreuz-Verteidiger » vorgeworfen, auf der anderen Seite eine Kapitulation vor dem Staat.

Die auflagenstarke, katholisch-konservativ ausgerichtete Kirchenzeitschrift «Gość Niedzielny» (Sonntäglicher Gast) schürte die Angst vor einer «Neutralität der Weltanschauungen», die früher von Moskau, heute aber von Brüssel kontrolliert werde – eine Anspielung auf das Kruzifixurteil des Europäischen Menschenrechtsgerichthof. Man wolle stattdessen eine verfassungskonforme Religionsfreiheit und keine Freiheit von Religion, wie sie die Liberalen forderten. Die eher liberale katholische Zeitschrift «Tygodnik powszechny» betonte demgegenüber, dass es sich nicht um eine Debatte zwischen Gläubigen und Atheisten handle, sondern um innerkatholische Streitlinien, immerhin sei auch der liberalkonservative Präsident Komorowski ein gläubiger Katholik.

Dieser ließ Mitte August ohne Vorankündigung eine Gedenkplatte am Präsidentenpalast anbringen, die an die nationale Einheit in den Tagen nach dem Flugzeugabsturz erinnert. Zur Beruhigung der Lage trug dies allerdings nicht bei: Die Linke kritisierte das auf der Tafel angebrachte Kreuz, die Rechte forderte ein größeres Denkmal für den verstorbenen Präsidenten und die Opfer von Smolensk. – Am 14. August lösten schließlich Polizeieinheiten das Camp der «Kreuz-Verteidiger » auf, von denen einige gewaltsam weggetragen werden mussten. Ein neu gegründetes «Denkmalkomitee» vertritt stattdessen die Forderungen der «Kreuz-Verteidiger». Das Komitee will einen internationalen Wettbewerb zur Gestaltung eines würdigen Denkmals ausschreiben, wobei allerdings der Standort des zukünftigen Denkmals nicht präzisiert wurde. Bis zur Errichtung des Denkmals solle das Kreuz vor dem Präsidentenpalast stehen bleiben. Das Komitee hoffe dabei auf einen Dialog mit den zuständigen Behörden, stelle sich aber auf einen langen Kampf ein.

Kathpress, 22. Juli, 19. August; www.prymaspolski.pl, 10. August; tygodnik.onet.pl, 10. August; www.episkopat.pl, 12. August; www.nzz.ch, 11.–16. August; www.wyborcza.pl, 16.–24. August; www.wiara.pl, 19. August 2010 – R.Z.

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