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Oberhaupt der Serbischen Kirche Patriarch Pavle verstorben

30. November 2009

Im hohen Alter von 95 Jahren ist am 15. November 2009 das Oberhaupt der Serbischen Orthodoxen Kirche, Patriarch Pavle, in Belgrad gestorben. Er war am 1. Dezember 1990 zum 44. Oberhaupt seiner Kirche gewählt worden. Gojko Stojcevic, so der bürgerliche Name des Patriarchen, wurde 1914 geboren. Er hat die Serbische Kirche maßgeblich geprägt. Die Wahl eines Nachfolgers ist für den 22. Januar 2010 anberaumt.

Patriarch Pavles letzte Lebensjahre waren von Krankheit gekennzeichnet: Nach einer schweren Hüftverletzung im Dezember 2005 konnte er nur noch selten öffentliche Auftritte wahrnehmen, im November 2007 wurde er ins Belgrader Militärkrankenhaus eingeliefert, wo er seine letzten beiden Lebensjahre in ärztlicher Behandlung verbrachte. Spätestens seit dieser Zeit begannen auch die Spekulationen um einen Führungswechsel an der Spitze der Kirche noch zu Pavles Lebzeiten.

Beinahe 19 Jahre hat Patriarch Pavle der Serbischen Orthodoxen Kirche vorgestanden; zum 44. Oberhaupt seiner Kirche - zum „Erzbischof von Pe?, Metropolit von Belgrad-Karlovci und Patriarch von Serbien", wie der offizielle Titel lautet - wurde er am 1. Dezember 1990 gewählt. Die erste Hälfte seiner Amtszeit war vor allem durch die dunklen 1990er Jahre des Miloševic-Regimes und der jugoslawischen Zerfallskriege geprägt. Patriarch Pavle erlebte allerdings auch, wie die Serbische Orthodoxe Kirche in der postkommunistischen Zeit deutlich an Ansehen und Einfluss gewann - erst recht nach dem Sturz des Miloševic-Regimes im Oktober 2000, so dass die Kirche heute zu den wichtigsten gesellschaftlichen Akteuren in Serbien zählt. Dies ist nicht zuletzt das persönliche Verdienst des verstorbenen Patriarchen, der in der serbischen Bevölkerung aufgrund seiner Bescheidenheit und seines asketischen Lebensstils hohes Ansehen genoss und als moralische Autorität wahrgenommen wurde.

Gojko Stojcevic, so der bürgerliche Name des Patriarchen, wurde noch als Untertan der k. u. k. Monarchie am 11. September 1914 im slawonischen Dorf Kucanci (heute in Kroatien) geboren. Früh verlor er seine Eltern, so dass er bei seiner Tante aufwuchs. Diese erlaubte ihm, das Gymnasium zu besuchen, da er als kränkliches Kind kaum zur Landarbeit zu gebrauchen war. Anschließend studierte er Theologie in Sarajevo und Belgrad. Während des Zweiten Weltkriegs war er zeitweilig als Religionslehrer für serbische Flüchtlingskinder tätig, erkrankte aber 1944 an Tuberkulose und zog sich daraufhin ins Kloster zurück. 1948 empfing er die Weihe zum Diakon und legte die Mönchsgelübde ab, wobei er den Namen Pavle annahm. Von 1949 bis 1955 war er Mönch im Kloster Raca, 1954 wurde er zum Priester geweiht. Sein Postdiplomstudium absolvierte er von 1955 bis 1957 in Athen; nach seiner Rückkehr wurde er noch im selben Jahr zum Bischof der Eparchie Raška-Prizren im Kosovo gewählt. In seiner fast 34-jährigen Dienstzeit als Eparchialbischof im Kosovo bemühte er sich vor allem um eine Verbesserung der Lebenssituation der serbischen Bevölkerung und der Kirche in der rückständigen Provinz.

Als Bischof Pavle 1990 zum Nachfolger des alterschwachen und amtsunfähigen Patriarchen German († 1991) gewählt wurde, stellte dies eine kleine Sensation dar, da mit ihm als neuem Kirchenoberhaupt niemand gerechnet hatte - er selbst vermutlich am allerwenigsten. Obwohl damals bereits 76-jährig, nahm er die Wahl an, die er mit den Worten kommentierte: „Meine Kräfte sind schwach, wie ihr alle wisst. [...] Ich hoffe auf eure Hilfe und die Hilfe Gottes [...]. Ehre sei Gott zum Ruhme und zum Nutzen seiner Kirche und unseres gequälten Volkes in dieser schweren Zeit."

Mit dem Zerfall Jugoslawiens standen dem neu gewählten Patriarchen allerdings die schwersten Zeiten noch bevor, für deren politische Herausforderungen dem eher unpolitische Pavle allerdings oftmals das Verständnis fehlte: Zwar wies er immer wieder darauf hin, dass Gewalt kein Mittel zur Lösung der politischen Probleme sein könne und rief zusammen mit katholischen und muslimischen Geistlichen während der Kriege zur sofortigen Beendigung der Kämpfe und friedlichen Konfliktlösung auf. Gleichzeitig vertrat er jedoch die Ansicht, dass eigentlich die Serben in Kroatien und Bosnien-Herzegowina die angegriffene Partei seien und das Recht auf Selbstverteidigung wie auch auf den Anschluss der Gebiete an Serbien hätten. Diese Einschätzung ließ ihn zum willkommenen Bündnispartner des Miloševi?-Regimes und anderer nationalistischer Kräfte bei der Rechtfertigung der Kriege werden. Andererseits war er vielen Nationalisten nicht nationalistisch genug, da sie ihm Aussagen wie „Lieber gar kein Serbien als Großserbien" verübelten. Heftiger Kritik setzte sich der Patriarch 1995 aus, als er ein Abkommen zwischen der bosnischen Serbenführung und Miloševic mit unterzeichnete, das Miloševic zum alleinigen Verhandlungsführer der serbischen Seite bestimmte, was den Weg zum Friedensvertrag von Dayton zu ebnen half. Aus Protest gegen das Abkommen verlangten die „Falken" unter den Bischöfen daraufhin gar den Rücktritt des Patriarchen.

Einen lange Zeit ambivalenten und auf Ausgleich bedachten Kurs - nicht zuletzt mit Rücksicht auf die verschiedenen Flügel im Episkopat - verfolgte Patriarch Pavle auch bei den innenpolitischen Auseinandersetzungen zwischen Miloševic und der serbischen Opposition während der 1990er Jahre. Als nach den Wahlen im Herbst 2000 das Miloševic-Regime den Wahlsieg der Opposition erst nicht anerkennen wollte, stellte sich Patriarch Pavle jedoch klar auf Seiten der Opposition, indem er an Armee und Polizei appellierte, die Interessen des Volkes und des Staates zu schützen - und nicht die egoistischen Machterhaltungsinteressen von Miloševic.

Gegen Widerstände, auch aus den eigenen Reihen, bemühte sich Patriarch Pavle um eine ökumenische Öffnung der Serbischen Orthodoxen Kirche: Mehrfach wurden in den letzten Jahren hochrangige katholische Vetreter, u.a. Kardinal Kasper, zu Vorträgen an die theologische Fakultät in eingeladen. In Belgrad kam es 2006 auch zu einem Neubeginn der theologischen Gespräche zwischen orthodoxer und katholischer Kirche, als dort nach jahrelanger Unterbrechung die neunte Tagung der Gemischten katholisch-orthodoxen Dialogkommission stattfand.

Nach dem Tod des Patriarchen ist Metropolit Amfilohije (Radovic) von Montenegro, der bereits in den letzen beiden Jahren als Stellvertreter des schwerkranken Patriarchen fungierte, zum locum tenens gewählt worden. Zusammen mit dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel leitete Metropolit Amfilohije auch die Begräbniszeremonie am 19. November, der die gesamte serbische Staats- und Regierungsspitze, Vertreter vieler Kirchen und Glaubensgemeinschaften sowie mehrere Hunderttausend Menschen beiwohnten.

Am 22. Januar 2010 wird die nächste Bischofsvollversammlung stattfinden, an der ein neuer Patriarch gewählt werden soll.

Stefan Kube, Chefredakteur G2W

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