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Kroatien: Schockierende Reaktion auf den Tod von Slavko Goldstein

10. Oktober 2017

Der gehässige Kommentar eines kroatischen Geistlichen zum Tod von Slavko Goldstein hat in Kroatien für Empörung gesorgt.

Der Schriftsteller und Publizist Goldstein galt als einer der wichtigsten und einflussreichsten Intellektuellen Kroatiens. Aus einer jüdischen Familie stammend, hatte er als Jugendlicher den Zweiten Weltkrieg überlebt, aber zahlreiche Familienmitglieder, darunter seinen Vater, verloren. Zeit seines Lebens bezog er gegen Faschismus und Nationalismus Position und scheute sich auch nicht vor Selbstkritik.

Mili Plenković, ein Priester von der kroatischen Insel Hvar, hatte zum Tod des 89-jährigen Goldstein am 13. September 2017 auf Facebook geschrieben, „die Nachricht, dass Dr. Slavko Goldstein gestorben ist, hat mich gefreut. Es freut mich, dass ein Hasser Kroatiens von der Bühne dieser Welt verschwunden ist“. Mit dieser Äußerung schockierte der Priester auch zahlreiche Gläubige, was sich in den Kommentaren widerspiegelte. Nachdem der Eintrag in den kroatischen Medien verbreitet worden war, löschte ihn Plenković von seinem Facebook-Profil. Die Reaktion ist jedoch bei weitem kein Einzelfall. Im Internet waren unzählige Beschimpfungen und Schmähungen zu lesen, Goldsteins Ableben hat laut dem kroatischen Nachrichtenportal index.hr einen „Geysir von wollüstigem Hass und Jubel“ ausgelöst. Die antisemitischen, hasserfüllten und vulgären Äußerungen seien ein Zeichen für die zunehmende „Faschisierung“ der Gesellschaft, zu der auch die katholische Kirche in Kroatien in den letzten Jahren beigetragen habe.

Goldstein, der 1928 in Sarajevo geboren worden war, hatte sich als Jugendlicher mit seiner Mutter und seinem Bruder den Partisanen angeschlossen, um den faschistischen Ustaša-Staat (der sog. Unabhängige Staat Kroatien, ein Satellitenstaat Deutschlands im Zweiten Weltkrieg) zu überleben. Er war auch politisch aktiv und einer der Mitbegründer und der erste Präsident der Kroatischen Sozialliberalen Partei. Als überzeugter Verfechter von liberalen Werten, Menschenrechten, Demokratie und Anti-Faschismus wurde er in den 1990er Jahren ein entschiedener Gegner des damaligen Präsidenten Franjo Tuđman. Er kritisierte dessen nationalistische Politik und die Rolle Kroatiens im Bosnienkrieg scharf. Der zunehmende historische Revisionismus und die aufkommende Ustascha-Nostalgie veranlassten ihn zu Büchern über das Jahr 1941 und das Ustaša-Vernichtungslager Jasenovac. Diese unbequemen Positionen machten ihn zwar zu einem der wichtigsten Intellektuellen seines Landes, aber auch äußerst unbeliebt. Dies äußerte sich auch an seiner Beerdigung, wo unter den zahlreichen Gästen keine Vertreter der Regierung und der katholischen Kirche waren.

www.slobodnadalmacija.hr, 13. September; www.jutarnji.hr, 16. September; www.index.hr, 14., 15. September; www.balkaninsight.com, September 2017 – N. Z.

LESERECHO (RGOW 12/2017, S. 3): Keine „Faschisierung“ in Kroatien

In RGOW 10/2017, S. 5 ist eine Meldung zu Kroatien, die Sie von der Zeitung Slobodna Dalmacija und dem Nachrichtenportal Index.hr. übernommen haben. Beide gelten in der Medienlandschaft nicht gerade als verlässliche und ausgewogene Quellen. Zu diesem Vorfall möchte ich folgendes anmerken:
Der Kommentar des Geistlichen Mili Plenkvić zum Tod von Slavko Goldstein ist ohne Zweifel ein bedauerlicher Ausrutscher. Plenković hat sich danach über Facebook entschuldigt und – was in Ihrem Beitrag nicht erwähnt wird – sein Profil gelöscht. Es ist Unsinn zu behaupten, dass in Kroatien zurzeit eine „Faschisierung“ stattfindet, zu der auch die katholische Kirche ihren Beitrag leistet. Hinter dieser Etikettierung von Index.hr liegt ein anderes Problem: Kroatien hat 27 Jahre nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft seine undemokratischen totalitären Regime in der Vergangenheit noch nicht aufgearbeitet. Die jetzige Regierung hat eine Arbeitsgruppe von Wissenschaftlern ins Leben gerufen, die dazu geeignete Vorschläge unterbreiten soll. Der rechte Totalitarismus (Ustaša-Regime) dauerte fünf Jahre und seine Ideologie sowie seine Verbrechen sind mehr oder weniger bekannt und als solche verurteilt.
Der linke Totalitarismus dauerte 45 Jahre. Seine Verbrechen sind weder erforscht noch genügend bekannt und von allen verurteilt. Es geht um x-Tausende Opfer besonders gegen Ende des Zweiten Weltkrieges und in den ersten Nachkriegsjahren, aber auch um die vielen Opfer der kommunistischen Machthaber in der späteren Zeit. Nicht wenige linksgerichtete Medien wehren sich bis heute gegen eine Aufarbeitung dieser leidvollen Vergangenheit. Jene, die dies dennoch versuchen, werden als „Faschisten“ etikettiert.

Nediljko Ante Ančić, Split

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