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Erinnerung an die deutsche evangelische Kirche in der Zwischenkriegszeit

25. Januar 2010

Am 24. und 25. Oktober 2009 fand in der Prager Michaeliskirche eine Veranstaltung anlässlich des 90. Jahrestages der Gründung der Deutschen Evangelischen Kirche in der Tschechoslowakischen Republik statt.

Am ersten Tag hielt der Wiener Historiker Karl Schwarz einen Vortrag über die nur 26 Jahre dauernde Geschichte dieser Kirche, die heute in der deutschen wie in der tschechischen Öffentlichkeit weitgehend unbekannt ist. Nach dem Zerfall der Habsburgermonarchie verbanden sich 1918 die tschechischen Reformierten und Lutheraner zur Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder (EKBB), die bis heute Bestand hat. Im Folgejahr gründeten die verbliebenen deutschsprachigen evangelischen Gemeinden die «Deutsche Evangelische Kirche in der Tschechoslowakischen Republik». Die Gemeinden waren vor allem in den Grenzgebieten zu Österreich, Deutschland und Polen angesiedelt. Mit der Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Kirche aufgelöst. Am Sonntag fand in der Michaelskirche ein dreisprachiger Gedenkgottesdienst statt, den slowakische, tschechische und deutsche Evangelische gemeinsam gestalteten.

Der Ort der diesjährigen Gedenkveranstaltung war mit Bedacht gewählt: Hier hatten die deutschen Lutheraner ihren Sitz bereits seit dem Toleranzpatent von 1781 gehabt. Da St. Michael die einzige Prager Toleranzgemeinde war, fanden aber auch tschechische Evangelische - Lutheraner wie Reformierte - Aufnahme. Nach dem Krieg zogen slowakische Lutheraner ein. Heute wird die Kirche von einer Gemeinde der slowakischen evangelischlutherischen Kirche genutzt; von 1991 bis 1993 war hier aber auch wieder eine deutsche Gemeinde zu Gast, bis sie in die EKBB integriert wurde.

Der aus der Nordelbischen evangelisch-lutherischen Kirche stammende Pfarrer Christof Lange, der seit 19 Jahren in der EKBB tätig ist, hielt die Predigt. Er beschrieb darin, wie sich die evangelischen Kirchen nach dem Ersten Weltkrieg entlang der Sprachenund Nationalitätengrenzen getrennt und voneinander entfernt hatten, wie von der deutschen Minderheit in der Tschechoslowakei die deutsche Sprache und Nationalität zunächst als schützende Mauer angesehen wurde und wie die Ausgrenzung durch den tschechoslowakischen Staat und faschistische Propaganda die deutsche Kirche schließlich in den Sog des Nationalsozialismus brachten. Ebenso absurd, wie die Vorstellung, dass das Auge zur Hand sagt: «Ich brauche dich nicht», seien Christen, die ihren Mitchristen durch Worte und Taten die Botschaft vermitteln: «Ich brauche dich nicht». Nicht ein nationales, politisches oder kulturelles Gemeinschaftsgefühl sei es, was die Glieder der Kirche zusammenhalte, sondern die Einladung und leibliche Gegenwart Jesu Christi an seinem Tisch.

Die Veranstaltung wurde organisiert von der Johannes-Mathesius-Gesellschaft in Zusammenarbeit mit den protestantischen Kirchen in der Tschechischen Republik. Als Gäste nahmen u. a. der Synodalsenior der EKBB, Joel Ruml, sowie der stellvertretende Bischof und Vorstandsvorsitzende der Schlesischen Diakonie der Schlesischen evangelischlutherischen Kirche, Jan Waclawek, teil. Das in Tschechien lange Zeit verdrängte Erbe der Deutschen Evangelischen Kirche in der Tschechoslowakei ist auch thematisiert in einer Publikation mit dem Titel «Die Lutheraner in den tschechischen Ländern im Wandel der Jahrhunderte » («Luteráni v ceských zemích v promenách staletí»), die von der Luthergesellschaft in Tschechien herausgegeben worden ist. Dabei handelt es sich um die erste umfassende zeitgenössische Darstellung des böhmisch-mährischen Luthertums überhaupt.

Gekürzte Fassung eines Berichtes von Christof Lange, Prag

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