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DOKUMENT: Erzbischof Ilarion an die Ratsvorsitzende der EKD

25. Januar 2010

Ein wichtiges Dokument im gegenwärtigen Streit zwischen der EKD und der Russischen Orthodoxen Kirche bildet der Brief des Vorsitzenden des Außenamtes der ROK, Bischof Ilarion (Alfejev), vom 10. Dezember 2009, in welchem er seine Sicht auf die Auseinandersetzung darlegt. G2W publiziert den Wortlaut des Briefes.

Sehr geehrte Dr. Käßmann!

Sehr geehrter Dr. Schindehütte!

Im Namen des Heiligsten Patriarchen von Moskau und ganz Russland danke ich Ihnen für Ihren Brief vom 13. November 2009. Seine Heiligkeit bedauert, dass die Feier zum 50-jährigen theologischen Dialog zwischen der Russischen Orthodoxen Kirche und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) abgesagt wurde. Die Entscheidung über die Absage der Feierlichkeiten hat die EKD einseitig beschlossen, ohne jegliche vorherige Absprache mit unserer Seite. Als einer der Gründe für diese Entscheidung dienten laut Ihren Worten meine Äußerungen zur jüngsten Wahl der Ratsvorsitzenden der EKD. Meiner Enttäuschung darüber habe ich in der Tat Ausdruck verliehen. Dennoch lassen sich meine Äußerungen in dieser Frage wohl kaum als ‹ungebührlich› bezeichnen, da sie nichts Beleidigendes für die EKD enthalten haben. Schließlich hat jeder Mensch das Recht, offen seine Meinung zur dieser oder jener Frage auszudrücken, vor allem in Fragen von solcher Tragweite.

Zu Recht heben Sie hervor, dass die Existenz der Frauenordination in der EKD in der Vergangenheit kein Hindernis für unsere Begegnungen und Diskussionen dargestellt hat. Dies hatte seine Gründe. Vor mehr als 30 Jahren erklärte der Hl. Synod unserer Kirche zum Pastoraldienst der Frau: ‹Wir sehen keinen Grund zum Widerspruch [...] bei Konfessionen, die das Priestertum nicht als Sakrament ansehen, und wo somit aus der Sicht der Orthodoxie das sakramentale Priestertum als solches nicht existiert› (Sendschreiben des Hl. Synods betreffend die V. Vollversammlung des Weltkirchenrats und deren Ergebnisse, In: Journal des Moskauer Patriarchats 1976, Nr. 4, S. 9). Obwohl wir auch früher ein Vorhandensein des Priestertums in den protestantischen Gemeinschaften nicht anerkannten und folglich diese auch nicht als ‹Kirchen› in unserem Verständnis anerkannt haben, standen wir mit einigen von ihnen im Dialog in der Form von ‹Kirche zu Kirche›.

Heute ist die Situation ein andere - eine Frau wurde Ratsvorsitzende der EKD. Hier stellt sich nun die prinzipielle Frage nach der Möglichkeit der Fortführung des Dialogs in der bisherigen Form. Denn solch eine Wahl zeugt davon, dass der Dialogpartner trotz des 50-jährigen Dialogs mit der Orthodoxie einen Weg beschreitet, der die Unterschiede zwischen unseren Traditionen dramatisch vergrößert. Es ist nur natürlich, wenn sich nun die prinzipielle Frage stellt: Was bedeutet unser Dialog, wenn sein Ergebnis nicht das früher von beiden Seiten deklarierte Aufeinanderzugehen ist, sondern im Gegenteil eine Bewegung - zumindest eines Dialogpartners - vom anderen weg?Weiterhin können wir auch die Meinung unserer Gläubigen nicht unberücksichtigt lassen - für sie sind Begegnungen und Gespräche mit einer Kirche, zu deren Oberhaupt eine Frau gewählt wurde, absolut inakzeptabel.

Unter diesen Umständen habe ich beschlossen, zur 50-Jahr-Feier unseres Dialogs nicht nach Deutschland zu reisen. Doch ich war bereit, meinen Stellvertreter [...] zu entsenden. Der Moskauer Teil der Feier hätte dagegen auf der vorher geplanten hohen Ebene stattgefunden, und wir hätten uns aufrichtig gefreut, unseren langjährigen Freund, Bischof Wolfgang Huber, an der Spitze der EKDDelegation zu sehen. Leider wurden auf Beschluss der neuen Leitung der EKD alle Feierlichkeiten abgesagt. Dabei befand man es nicht einmal für nötig, irgendeinen Kontakt mit mir aufzunehmen. Entgegen der Behauptung gewisser russischer Medien wurde weder von mir noch von irgendeinem meiner Mitarbeiter ein ‹Abbruch der Beziehungen› zur EKD verkündet. Wir schätzen die langjährigen freundschaftlichen Beziehungen zu den deutschen Protestanten sehr, und die Erfahrung des theologischen Dialogs wird sich zweifelsohne auch in Zukunft als nützlich erweisen.

Ich bedaure, dass das Jubiläum unseres Dialogs, der solch gute Früchte in der Vergangenheit gebracht hat, zugleich auch das Ende dieses Dialogs in der Form bedeutet, in der er ein halbes Jahrhundert bestand. Die wichtigste Ursache dafür sind jedoch nicht die einen oder anderen Äußerungen, die in den letzten Tagen gemacht wurden, sondern die Prozesse, die im Schoß des westlichen Protestantismus in den letzten Jahrzehnten vonstatten gegangen sind. Wir in der Russischen Orthodoxen Kirche sind sehr beunruhigt über den wachsenden säkularen Einfluss auf die Entwicklung von Theologie und kirchlichem Leben in den protestantischen Gemeinschaften. Die Liberalisierung moralischer Normen und der Abfall von den apostolischen Regeln bei der Organisation des kirchlichen Lebens bewegen uns dazu, gegenüber unseren Brüdern und Schwestern im Geist christlicher Liebe Zeugnis abzulegen von der authentischen christlichen Tradition. Heute wird der Abgrund immer tiefer, der die traditionellen christlichen Kirchen und jene Gemeinschaften westlicher Christen von einander trennt, die aus Gefälligkeit gegenüber modernen säkularen Standards den Weg einer Liberalisierung der Glaubenslehre, der kirchlichen Organisation und moralischer Normen beschritten haben.

Dies ist nicht die Schuld der Orthodoxen, die in all den Jahren des Dialogs nicht einen Schritt von ihren protestantischen Brüdern und Schwestern zurückgewichen, sondern im Gegenteil ihren Verpflichtungen treu geblieben sind. Die EKD hat entschieden, eine Frau zum Oberhaupt ihrer Kirche zu wählen, und hat somit ihre Wahl getroffen. Wir sind bereit, diese Entscheidung als innere Angelegenheit der EKD anzusehen. Doch wenn es um den Dialog geht, an dem sich unsere Kirche beteiligen soll, behalten wir uns das Recht vor, über die Zweckdienlichkeit einer weiteren Fortsetzung dieses Dialogs sowie über die Form zu entscheiden, in der sich die Zusammenarbeit zwischen uns künftig gestalten soll. In meinen Augen wäre es richtig, die jetzige Situation nach Ablauf einer gewissen Zeit in ruhiger Atmosphäre zu besprechen; ich bin bereit, dazu im Frühjahr 2010 nach Deutschland zu reisen.

Mit Hochachtung,

Der Vorsitzende des Kirchlichen Außenamtes des Moskauer Patriarchats,

Erzbischof Ilarion von Volokolamsk.

www.mospat.ru, 10. Dezember 2009 - O.S.

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