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Deutschland: Swetlana Geier verstorben

14. Dezember 2010
Swetlana Geier, bedeutende Übersetzerin russischer Literatur ins Deutsche, ist am 7. November 2010 im Alter von 87 Jahren in Freiburg / Br. verstorben.

Der bedeutendste Teil ihres Übersetzungswerkes ist Fjodor Dostojewskij gewidmet. 16 Jahre lang hat sie – erst seit ihrer Pensionierung 1988 – an der Neuübersetzung seiner fünf großen Romane gearbeitet. Diese nannte Swetlana Geier liebevoll ihre «fünf Elefanten» – so lautete auch der Titel eines Dokumentarfilms, der 2009 über sie gedreht wurde: «Die Frau mit den fünf Elefanten».

Swetlana Geier übersetzte aus ihrer Muttersprache Russisch ins Deutsche – üblicherweise geschieht es umgekehrt. Ihre Kenntnis des Deutschen war hervorragend und ihr Grundsatz war es, ganz genau zu übersetzen – sie warf ihren Kollegen oft vor, beim Übersetzen zu viel in den Originaltext hinein zu interpretieren. Gemäß ihrem Grundsatz «Zurück zum Original!» scheute sich Swetlana Geier nicht, Vertrautes über Bord zu werfen – man denke nur an die neuen deutschen Titel für Dostojewskijs Romane: «Verbrechen und Strafe» statt «Schuld und Sühne», «Böse Geister» statt «Die Dämonen»; den Roman «Der Jüngling» nannte sie «Der grüne Junge»; lediglich die Titel «Der Idiot» und «Die Brüder Karamasow » ließ sie unverändert.

Swetlana Michajlowna Iwanowa wurde 1923 als Kind russischer Intellektueller in Kiew geboren; von Kindesbeinen an lernte sie Deutsch. Ihre Familie durchlitt die Hungersnot in der Ukraine von 1933; ihr Vater wurde im Großen Stalin-Terror (1936–1938) verhaftet und verstarb 1939 nach seiner Entlassung an den Folgen der Haft. Nach dem Einmarsch der Deutschen 1941 arbeitete Swetlana als Dolmetscherin und Übersetzerin für die Wehrmacht und für eine deutsche Firma. Ende 1943 eroberte die Rote Armee die Ukraine zurück. Da Swetlana von den Sowjets als Kollaborateurin erschossen worden wäre, schloss sie sich mit ihrer Mutter den Richtung Westen abziehenden Deutschen an. Nach schwierigen Anfängen studierte sie 1944 in Freiburg Literaturwissenschaft und Vergleichende Sprachwissenschaft. Seit 1960 war sie Russisch-Lektorin an der Universität Karlsruhe; ihr wichtigster Arbeitsplatz wurde dann das Slawische Seminar an der Universität Freiburg / Br., wo sie von 1964 bis 1988 als Lektorin und Dozentin für Russisch tätig war. Ihre ukrainische Heimat konnte sie erst 50 Jahre nach ihrer Flucht wieder besuchen.

Wer die Freude hatte, Swetlana Geier zu begegnen und mit ihr persönlich zu sprechen, der wird diese eindrucksvolle Dame mit ihren strahlenden blauen Augen und ihren mit Ironie gepaarten Humor nicht vergessen.

Gerd Stricker

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