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Chefredaktor der polnischen Zeitung «Gazeta Wyborcza» über die katholische Kirche

22. Juni 2009

Adam Michnik, Chefredaktor der größten polnischen Tageszeitung, hat in einem Interview kritisiert, die römisch-katholische Kirche in Polen habe seit der Wende mit der Tradition der aufgeschlossenen Reformbewegung gebrochen. Die meisten größeren Zeitungen und Zeitschriften Polens lassen sich mehr oder weniger deutlich einem politischen «Lager» zuordnen. Im Bereich der Tageszeitungen bestand lange Zeit eine Dichotomie zwischen der linksliberalen «Gazeta Wyborcza», die ihre Wurzeln in der Solidarno?? hat, und der konservativen Zeitung «Rzeczpospolita», deren Geschichte noch in die Volksrepublik zurückreicht. Seit 2006 ist der liberalkonservative «Dziennik» aus dem Hause Springer als dritter Akteur dazugetreten. Chefredaktor der «Gazeta Wyborcza » ist seit ihrer Gründung (ursprünglich als Wahlzeitung zur Vorbereitung der ersten demokratischen Wahlen im Juni 1989, daher der Name «Gazeta Wyborcza » - «Wahlzeitung») Adam Michnik. Michnik hatte 1976 - also noch vor Beginn der Solidarno?? -Bewegung - ein Buch unter dem Titel «Ko?ció?, lewica, dialog» veröffentlicht (dt. Übersetzung von 1980: «Die Kirche und die polnische Linke: von der Konfrontation zum Dialog »), das nun im Rahmen der Gesamtausgabe seiner Werke neu herausgegeben wird.

Im Mai erschien in der Onlineversion der «Gazeta Wyborcza» ein Interview mit Adam Michnik, in dem er sich zu seinen damaligen Beweggründen zur Abfassung des Buches ebenso wie zur aktuellen Rolle der römischkatholischen Kirche in Polen äußerte. Michnik erläuterte, zusammen mit anderen (nicht kirchlich orientierten) Oppositionellen habe er damals plötzlich begonnen, sich für die Kirche als antitotalitäre Kraft zu interessieren. Ihm sei bewusst geworden, dass die «traditionelle » Skepsis des linken Lagers der Kirche gegenüber nicht berechtigt sei. Allerdings seien seine damaligen positiven Prognosen zur wichtigen Rolle der Kirche im Kampf für eine freiere Gesellschaft nur für eine gewisse Zeit berechtigt gewesen; inzwischen fühle er sich, als ob er eine «Niederlage erlitten» hätte. Nach der «Wende» seien Gedanken innerhalb der Kirche aufgekommen, die es in der Zeit der Solidarno?? -Bewegung nicht gegeben habe - im Sinne von «bis jetzt hatten die Kommunisten die Macht, jetzt ist die Zeit für die katholische Kirche gekommen». Michnik führte weiter aus, er verstehe die Angst der Kirche vor einem Rückfall in kommunistische Zeiten, doch sei es zu einer Überreaktion gekommen - die Kirche habe sich in einen «Panzer» verwandelt, an dem jede Kritik abpralle. Dialogbereite Strömungen innerhalb der Kirche seien heute in der Minderheit - ein Beispiel hierfür sei der Rückgang der Abonnenten des «Tygodnik Powszechny» (einer katholisch-liberalen Wochenzeitung, deren Redaktionsmitglieder in der demokratischen Bewegung eine große Rolle spielten, die jedoch heute zunehmend mit konservativen Vertretern der römisch-katholischen Kirche in Konflikt gerät [s. dazu auch G2W 3/2009, S. 18-20]) unter den katholischen Geistlichen. Michnik schloss das Interview mit der Feststellung, diese Entwicklungen seien wohl weniger der Kirche als vielmehr der politischen Klasse anzulasten, die die Kirche oft instrumentalisiere. Die Debatte über die Kirche in Polen sei von «fundamentaler» Wichtigkeit, da die polnische Gesellschaft sich in großem Maße so entwickle wie die katholische Kirche in Polen. Je integristischer der polnische Katholizismus sei, desto konservativer und ratloser den Zeichen der Zeit gegenüber werde sich die polnische Gesellschaft entwickeln.

Polen-Analyse Nr. 50, 21. April; www.wyborcza.pl, 17. Mai 2009 - R.C.
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