Russland: Erzdiakon Andrej Kurajev seiner Ämter enthoben

Erzdiakon Andrej Kurajev, der in der russischen Öffentlichkeit große Prominenz und Popularität genießt und dessen Blogs zu den meistgelesenen in Russland gehören, ist am 30. Dezember 2013 von seiner Professur an der Moskauer Geistlichen Akademie sowie seiner Mitgliedschaft in der Theologischen Synodalkommission per sofort entbunden worden. Als Grund für die Entlassung nannte die Akademie „die extravaganten Aufrufe in der Presse und die provokativen Äußerungen in den Blogs“ des Erzdiakons.

Kurajev ist Verfasser mehrerer Werke zu theologischen Themen sowie Co-Autor des Lehrmittels „Grundlagen orthodoxer Kultur“ für die öffentlichen Schulen.

Der Erzdiakon erklärte, er habe keine Kündigung erhalten und habe davon erst von der Webseite des Patriarchats erfahren. Seine Entlassung überrasche ihn, da seine fachliche Kompetenz bisher noch nie infrage gestellt worden sei, daher liege der eigentliche Grund für seine Entlassung in seinen Enthüllungen über praktizierende Homosexuelle innerhalb des Episkopats der Russischen Orthodoxen Kirche. Das Patriarchat wisse seit Jahren davon, breite aber einen Deckmantel des Schweigens darüber.

Kurajev gibt an, von einem Seminaristen des Geistlichen Seminars in Kazan eine Mail erhalten zu haben, deren Inhalt er umgehend in seinem Blog publik machte: Demnach habe am 13. Dezember eine Untersuchungskommission des Synodalkomitees für Bildung im Kazaner Seminar eine unangekündigte Kontrolle durchgeführt, um die Klagen von Seminaristen an das Patriarchat über z. T. massive sexuelle Übergriffe, Vergewaltigungen und Amtsmissbrauch seitens der Seminarleitung, insbesondere des Prorektors Igumen Kirill (Iljuchin), zu verifizieren. Die Seminaristen sagten aus, dass sich 4/5 des Lehrkörpers an homosexuellen Handlungen und Missbrauch beteiligten; der zuständige Metropolit Anastasij (Metkin) sei darüber informiert, schweige aber dazu und sei als Rektor letztlich dafür verantwortlich. Die Kommission entfernte den Prorektor sofort aus dem Amt und der Eparchie. Ob das Patriarchat eine weitergehende Untersuchung eingeleitet oder ein Kirchengericht einberufen hat, ist unklar. Mittlerweile hat auch die Staatsanwaltschaft Kazan eine Untersuchung eingeleitet.

Kurajev betonte, die Kirche müsse sich endlich der Tatsache von „Gay“-Bischöfen stellen: Diese missbrauchten ihr hohes Amt und nötigten junge Männer in der Kirche zu sexuellen Handlungen. Die „Schwulenlobby“ habe selbst im Hl. Synod ihre Mitglieder und täte alles, um nichts an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Das Problem der Homosexualität in der Russischen Orthodoxen Kirche ist nicht neu und wurde bereits in den 1990er und 2000er Jahren diskutiert. Ihren Ursprung sieht Kurajev – wie andere Kirchenfachleute auch – im KGB, der seit den 1960er Jahren über den „Rat für religiöse Angelegenheiten“ Homosexuelle in den geistlichen Stand schleuste. Der KGB bediente sich dieser in sowjetischer Zeit erpressbaren Männer, um sie sowohl persönlich als auch die Kirche gefügig zu machen und zu manipulieren.

Roman Lunkin, Präsident der „Experten-Gilde für Religion und Recht“, erklärte dazu im Gespräch mit Portal-Credo.Ru, im Unterschied zu anderen Kirchen in den osteuropäischen Ländern habe es in der Russischen Orthodoxen Kirche keine Vergangenheitsbewältigung gegeben, der sie sich aber über kurz oder lang stellen müsse; Kurajev habe nun eines dieser verschwiegenen Themen publik gemacht. Er selbst glaube an keine „Schwulenlobby“, in Wirklichkeit seien die verschiedenen Gruppierungen und ihre Einflussname weitaus komplizierter.

Zahlreiche Geistliche und Laien beschimpften Kurajev als Verräter und „Nestbeschmutzer“. Erzpriester Vsevolod Tschaplin, der Leiter der Synodalabteilung für die Beziehungen zwischen Kirche und Gesellschaft, verlangte vom Erzdiakon, Buße zu tun für die Gerüchte, die er aus Rache für seine Entlassung aus der Akademie in die Welt setze und für die er zuerst noch Zeugen und Beweise vorbringen müsse. Kurajev konterte, ihm ginge es nicht um Rache; es erschrecke ihn vielmehr, dass Tschaplin und seine Kollegen sich nicht einmal vorstellen könnten, jemand könne schlicht aus Gewissensgründen handeln. Er halte die Namen der jungen Männer anonym, um sie zu schützen.

Kurajev rechnet mit seiner Laisierung. Er erklärte, er werde diese akzeptieren und in jedem Fall der Russischen Orthodoxen Kirche und dem Patriarchen treu bleiben.

www.portal-credo.ru, 23. Dezember 2013 – 23. Januar 2014; www.interfax-religion.ru, 10. Januar – 22. Januar 2014 – O. S.

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