Patriarch Kirill entlässt prominente Mitarbeiter

In Russland sorgen zwei Entlassungen aus der Administration der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK) für Aufregung: Sowohl Sergej Tschapnin, verantwortlicher Redaktor des Journals des Moskauer Patriarchats, wie auch Erzpriester Vsevolod Tschaplin, Leiter der Synodalabteilung für die Beziehungen zwischen Kirche und Gesellschaft, mussten im Dezember 2015  ihren Hut nehmen.

Während Tschapnin als Vertreter des „liberalen“ Flügels der ROK gilt, erregte Tschaplin vor allem mit plakativen Meinungsäußerungen nationalkonservativer Couleur Aufsehen.

Sergej Tschapnin, der „Liberale“

Dass Patriarch Kirill (Gundjaev) Sergej Tschapnins Wirken im Rahmen der Kirchenverwaltung für „nicht mehr zweckmäßig“ hält, überrascht nicht. Aufgefallen ist Tschapnin vor allem am 9. Dezember 2015 mit einem Vortrag zum Thema „Orthodoxie im öffentlichen Raum: Krieg und Gewalt, Helden und Heilige“ am Moskauer Carnegie Zentrum wie auch mit einem Artikel über „Die Kirche des Imperiums“ im katholischen Journal First Things (zu Deutsch bei www.dekoder.org, 12.1.2016). Tschapnin hält sich seit längerer Zeit nicht mit Kritik an der Entwicklung der ROK in den letzten Jahren zurück und nennt folgende Probleme beim Namen: die zunehmende Hierarchisierung (s. Tschapnins Artikel in RGOW 12/2015, S. 18–21), den starken Einfluss des „rechten Flügels“, die enge Zusammenarbeit von Kirche und Staat, die Formierung einer neuen orthodoxen Ideologie, die dem übernationalen Charakter der Orthodoxie widerspreche und nicht nur in der Ukraine große Probleme verursache, sowie die triumphale Wiederkehr der sowjetischen Tradition. An der Leerstelle, welche die Kommunistische Partei hinterlassen habe, entstehe in Russland eine „postsowjetische Zivilreligion“, die weder mit Gott noch mit orthodoxen Christen etwas zu tun habe: Die Quelle des Glaubens sei schließlich Christus, und nicht der Kampf für nationale Werte. Bereits vor seiner Entlassung erhielt Tschapnin mehrere Verwarnungen und ein Verbot, mit Vorträgen an internationalen Konferenzen teilzunehmen.

Sergej Tschapnin arbeitete in den 1990er Jahren als unabhängiger Journalist bei diversen Medien zum Thema Religion und erhielt im Jahr 2000 von Patriarch Alexij II. – trotz Protest aus dem orthodox-patriotischen Lager – das Angebot, die Zeitschrift Kirchenbote (Cerkovnyj vestnik) zu reorganisieren. Der neue Patriarch Kirill ernannte Tschapnin 2009 zum verantwortlichen Redaktor des Journals des Moskauer Patriarchats. Laut Tschapnin steckt das Journal zurzeit in einer konzeptionellen Krise, weil sich aus lauter Furcht, der „offiziellen Position der Kirche“ zu widersprechen, kaum noch Autoren fänden. Das Journal richtet sich an Geistliche und aktive Laien der ROK und enthält Informationen über das kirchliche Leben in der modernen Welt. Diskussionen und Meinungsartikel seien schon länger nicht mehr möglich, seit sich Metropolit Ilarion (Alfejev) vom Vorsitzenden des Redaktionsrats zu einem Zensor entwickelt habe.

Was die Entlassung von Tschaplin betrifft, ist laut Tschapnin bemerkenswert, dass dessen teilweise schockierende Äußerungen mit keinem Wort verurteilt worden seien. Die Begründung der Entlassung Tschaplins mit einer „Optimierung“ der Verwaltung habe jedoch einen realen Hintergrund: Die unter Patriarch Kirill enorm ausgebaute Kirchenverwaltung sei nicht mehr haltbar. Tschapnin geht von künftigen großen Veränderungen aus, zumal es scheint, dass nun erstmals ein Tabu gebrochen sei: in Kirchenkreisen offen Kritik am Patriarchen zu äußern.

Vsevolod Tschaplin, der „Nationalkonservative“

Die Freistellung von Erzpriester Vsevolod Tschaplin kam im Gegensatz zu Sergej Tschapnins Entlassung überraschend, galt doch Tschaplin als loyaler und enger Vertrauter des Patriarchen. Von 2001 bis 2009 war er Kirills Stellvertreter, als dieser noch als Metropolit das Außenamt der ROK leitete. Der Hl. Synod begründete den Entscheid am 24. Dezember mit der Zusammenlegung zweier Synodalabteilungen zur neuen „Abteilung für die Zusammenarbeit der Kirche mit der Gesellschaft und den Medien“. Diese „Eliminierung von parallelen Prozessen“ kostete Erzpriester Vsevolod Tschaplin den Chefposten der „Abteilung für die Beziehungen zwischen Kirche und Gesellschaft“, die er seit deren Gründung 2009 geleitet hatte. Zum Leiter der neuen Abteilung wurde Vladimir Legojda ernannt, der bis anhin die zweite fusionierte Synodalabteilung – die Informationsabteilung – geführt hatte. Legojda ist Journalismusprofessor und Politologe und nun der ranghöchste Laie in der Kirchenhierarchie.

Tschaplin hat nicht nur seinen Posten in der Synodalabteilung verloren, sondern wurde am 29. Dezember auf Kirills Initiative auch als Vizechef des Weltkonzils des russischen Volkes abgesetzt. Im Januar schloss ihn Präsident Vladimir Putin zudem aus dem Präsidialrat für die Zusammenarbeit mit religiösen Organisationen aus und ersetzte ihn durch Vladimir Legojda.

Als eigentlicher Grund für die Entfernung Tschaplins von seinem prominenten Posten gelten seine radikalen öffentlichen Aussagen. In letzter Zeit polarisierten seine Äußerungen zu Konflikten, so hatte er im November gefordert, die Todesstrafe für Terroristen einzuführen (s. RGOW 12/2015, S. 6). Er selbst übt seit seiner Entlassung scharfe Kritik am Patriarchen: Kirill akzeptiere abweichende Meinungen in der ROK je länger je weniger. Im Gegensatz zu Kirill ist Tschaplin der Meinung, die ROK müsse dem Staat gegenüber eine kritische Position einnehmen und auf Gesellschaft und Machthaber Einfluss nehmen, statt „sich gesellschaftlichen Meinungen zu unterwerfen“. Gemeinhin herrscht die Meinung, die ROK lehne sich unter Kirill zu sehr an den russischen Staat an. Grundlegend unterscheiden sich auch Tschaplins und Kirills Ansichten zur Ukraine. So befürwortet der umstrittene Erzpriester öffentlich eine Unterstützung der pro-russischen Kräfte, während Kirill sich wesentlich diplomatischer verhält. Allerdings befürwortet auch Patriarch Kirill die russische Militärintervention in Syrien (s. RGOW 11/2015, S. 3-4).

Laut Tschaplin geht es bei den jüngsten Personalentscheidungen nicht um den Ausschluss einer bestimmten Position, sondern um die Selbstständigkeit von Kirchenvertretern – darum seien er und Tschapnin gleichzeitig entlassen worden. Tschaplins weniger prominente Nachfolger gelten hingegen als loyal – ebenso konservativ, aber wesentlich diplomatischer.

Nach eigener Aussage trauert Tschaplin seinem Posten nicht nach, er habe sich schon länger auf seinen Abgang vorbereitet. Über seine Nachfolger äußert er sich versöhnlich. Allerdings prophezeite er, dass Kirill nicht mehr lang Patriarch bleiben werde. Patriarch Kirill zeigte sich „schockiert“ über Tschaplins an ihn adressierte Vorwürfe. Legojda und Schipkov hingegen äußerten sich wohlwollend über Tschaplin und schlossen eine künftige Zusammenarbeit mit ihm nicht völlig aus.

Natalija Zenger, Regula Zwahlen

 

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